Liberalismus bedeutet in der Definition verschiedener Sachbücher eine "Denkweise,
die die freie Entfaltung des Individuums fordert und staatliche Eingriffe auf
ein Minimum beschränkt sehen will". Liberal wiederum ist "vorurteilslos,
freiheitlich", und liberalisieren bezeichnet als Tätigkeit "von Einschränkungen
befreien, freiheitlich gestalten".
Das allein ist schon ein Programm, ein Auftrag für eine ganze Legislaturperiode.
Es ist die Klammer, die das Verhalten freisinniger oder liberaler
Kantonsrätinnen und Kantonsräte umschreibt. Wenn wir uns den einzelnen Begriffen
zuwenden, nehme ich zunächst an, dass uns die gemeinsame Denkweise in die FdP
führt. Damit haben wir uns auch dazu bekannt, die Aufgabe vorurteilslos und
freiheitlich zu erfüllen, und in der Sachpolitik haben wir uns zum Ziel gesetzt,
diese möglichst freiheitlich zu gestalten.
Sie von Einschränkungen zu befreien, heisst nicht, dass der Staat - oder, in dem
heute zur Diskussion stehenden Fall, der Kanton - unser Gegner ist. Wir hatten
immer die grösste Verantwortung für diesen Kanton, sowohl im letzten Jahrhundert
als auch in den nächsten vier Jahren, als unverändert stärkste Partei. Der alte
Spruch "So viel Staat wie nötig, so wenig Staat wie möglich" gilt weiterhin - er
bleibt Richtschnur für freisinniges Handeln.
Er bleibt es namentlich für die Solothurner FdP. Als breit abgestützte
Volkspartei war sie nie Verfechterin von Interessen bestimmter Gruppierungen.
Der ehemalige Regierungsrat Alfred Wyser hat als einen ihrer Grundzüge, der ihr
im letzten Jahrhundert manchen Erfolg brachte und zur politischen Stabilität
beitrug, die soziale Aufgeschlossenheit genannt. Und der kantonale
Parteipräsident, Ruedi Nützi, hat es im "Solothurner Freisinn" vom März so
umschrieben: "Freisinnige denken lösungsorientiert, sie sind integre und
optimistisch gestimmte Persönlichkeiten."
Bei allem Optimismus, mit dem die Fraktion ans Werk gehen wird, ist allerdings
nicht zu übersehen, dass die Verpflichtung auf den Liberalismus, die
Bereitschaft zum liberalen Handeln und der Wille, in der Sachpolitik wo immer
nötig und möglich zu liberalisieren, auch ein Konfliktpotential enthält. Man
wird da und dort an Grenzen stossen, und das wird zu Belastungsproben in der
Fraktion und in der Partei führen.
Die letzten vier Jahre - die nächsten vier Jahre
Der Leistungsausweis für die Legislaturperiode 1997 bis 2001 zeigt deutlich, was
gemeint ist. In der Finanzpolitik etwa war die FdP/JL-Fraktion mehr als einmal
einsamer Rufer in der Wüste und ebenso mehr als einmal in der Minderheit. Der
Rechnungsabschluss 2000 hat uns zwar Recht gegeben, und auch das Wahlresultat
hat die konsequente Haltung der Fraktion honoriert. Aber der Kanton ist
finanzpolitisch noch lange nicht "über dem Berg", und auch in der neuen
Legislatur wird es zu Auseinandersetzungen kommen. Ich gebe dazu nur ein
Stichwort: Jetzt, wo es uns etwas besser geht, nehmen die Lohnforderungen des
Personals geradezu inflationär zu.
In den 14 Leitlinien für freisinnige Politik haben wir - für die Wählerinnen und
Wähler offenbar überzeugend - dargelegt, was wir in den nächsten Jahren
erreichen wollen. Das ist die Grundlage, auf der Solothurner Politik gemacht
werden kann und soll. 35 Prozent der Wählenden setzen ihr Vertrauen in diese
Politik - mehr als ein Drittel der Solothurnerinnen und Solothurner haben 53
Kantonsrätinnen und Kantonsräten den Auftrag erteilt, auf dieser Basis Politik
für alle Schichten zu betreiben.
Das sind auch gute Voraussetzungen für den Start der Solothurner FdP in die neue
Legislatur. Es braucht dennoch zwar nicht gerade Blut, Schweiss und Tränen, wenn
wir eine optimale Ausgangslage für 2005 schaffen wollen, aber zumindest viel
Einsatz. Der Kampf um die politische Vorherrschaft unter den Bürgerlichen ist
noch nicht entschieden. Wir müssen mit einer Politik für alle Schichten Wärme
vermitteln und der Bevölkerung die Sicherheit geben, dass ihre Anliegen bei der
FdP am besten aufgehoben sind.
Noch sind die Positionen nicht bezogen, noch steht die politische Mitte zur
Disposition. Deshalb muss sich die FdP wenn immer nötig klar gegenüber der SP
und der CVP, aber auch zur SVP abgrenzen - wie sie es im Wahlkampf mit Erfolg
getan hat. Die Kantonalpartei wird der Fraktion dabei noch mehr als bisher zur
Seite stehen, denn Fraktion und Partei bilden eine Einheit. Wir wollen uns
deshalb mindestens nach jeder Session des Kantonsrates mit einer
Medienmitteilung zum Wort melden und den freisinnigen - oder, wenn sie wollen,
den liberalen - Standpunkt klarmachen. Auch das hat sich im Wahlkampf als
richtig erwiesen. Ich freue mich, wenn ich als "alt Kantonsrat" dazu weiterhin
einen Beitrag leisten darf.